Einführungsrede von Dr. Nina Zimmer in der Kunsthalle Dominikanerkirche, Osnabrück anläßlich der Multimedia-Ausstellung " Human Landscape" von Claudia Liekam

Um sie auf die Arbeiten der Ausstellung einzustimmen, möchte ich in Anbetracht des Wochentages mit einem Zitat aus dem Hohen Lied Salomos aus der Bibel anfangen, in dem die Schönheit einer Frau mit einer Vielzahl von Naturvergleichen besungen wird:

Dein Schoß ist wie ein runder Becher, dem nimmer Getränk mangelt. Dein Leib ist wie ein Weizenhaufen, umsteckt mit Lilien. Deine beiden Brüste sind wie junge Zwillinge von Gazellen. Dein Hals ist wie ein Turm von Elfenbein. Deine Augen sind wie die Teiche von Heschbon am Tor Bat-Rabbim. Deine Nase ist wie der Turm auf dem Libanon, der nach Damaskus sieht. Dein Haupt auf dir ist wie der Karmel. Das Haar auf deinem Haupt ist wie Purpur; ein König liegt in deinen Locken gefangen. - Wie schön und wie lieblich bist du, du Liebe voller Wonne! Dein Wuchs ist hoch wie ein Palmbaum, deine Brüste gleichen den Weintrauben.

Wie wir sehen werden, arbeitet Claudia Liekam - zwar nicht mit den Mitteln der Sprache, sondern mit den Mitteln der zeitgenössischen Kunst – durchaus mit vergleichbaren Parallelen von Natur und weiblichem Körper.

Claudia Liekams Medienarbeiten laden ein, sich ganz unmittelbar auf sie einzulassen. Nähert man sich etwa dem Video „Der Nabel der Welt“, erlebt man Folgendes: Im Zentrum des Bildschirms, vor einem hellen, fast weißen Hintergrund bewegt sich eine kugelige Form. Sie bewegt sich rhythmisch, aber doch unmerklich, wie selbstverständlich. Dazu hören wir, über Lautsprecher verstärkt, Atemgeräusche. Die kugelige Form tanzt über den Bildschirm. Sie erinnert an eine kleine zusammengerollte Figur, die um ihre eigene Achse kreist. Hat man bemerkt, dass diese kleine Figur im Rhythmus des Atemgeräusches tanzt, dann hat man erkannt, dass sie nichts anderes als die Aufnahme eines Bauchnabels ist, der sich während des Ein- und Ausatmens hebt und senkt. Durch technische Bearbeitung der Videoaufnahme erreicht Claudia Liekam diesen Verfremdungseffekt, der uns eine die existenzielle Körperfunktion „Atem“ neu vor Augen führt, und Distanz schafft zu einer intimen Gewissheit.

Claudia Liekam steht mit dieser Arbeit in der Tradition der frühen experimentellen Videokunst der 70er Jahre, in der eine radikale Erforschung des Körpers im Zentrum der künstlerischen Auseinandersetzung mit der neuen Technik stand, die erstmals ohne großen Aufwand, den privaten Dialog mit der Kamera erlaubte.

Gleichzeitig knüpft Claudia Liekam aber auch an ältere künstlerische Themen an. Der surrealistische Maler André Masson malte 1939 ein Bild, das er La Terre, die Erde, nannte. Auf den Mittelpunkt des Bildträgers, auf dem Kreuzungspunkt der Bilddiagonalen, ist mit wenigen Pinselstrichen der Bauchnabel einer Frau gesetzt. Von diesem Zentrum aus entwickelt Masson seine Komposition. Der Körper der Frau wird flach in das Bildgeviert eingefügt, Arme, Brüste, Beine und Kopf überscheiden sich und werden eins mit der Fläche. Die Oberfläche des Bildes wird aber nicht nur von der Zeichnung in Ölfarbe bestimmt. Masson trug in unterschiedlichen Schichten Sand auf die Leinwand auf. Die auf die Fläche gesetzte Frau, wird damit metaphorisch auch in eins gesetzt mit der sandigen Erde, die bereits im Titel aufscheint. Frau und Erde, eine Verknüpfung, die in vielen Mythologien erscheint, erfährt in dieser Form eine neue Formulierung.

Gleich drei Themen sind in diesem Bild angesprochen, die Claudia Liekam in ihren Arbeiten weiterführt. Zum einen die Verflächigung einer menschlichen Körperform, zweitens die Fragmentierung des Körpers und drittens, die Ineinssetzung von Frau und Natur.

Ein Thema, das Claudia Liekam gleich in mehreren Arbeiten mit dem Einsatz verschiedener Medien bearbeitet. „Human Landscape“, menschliche Landschaft, oder Landschaft als Mensch hat sie diese Ausstellung betitelt, und die Suche nach Formen der Verschmelzung vom menschlichen Körper und den Erscheinungen der natürlichen Landschaft somit zu ihrem Leitthema erhoben.

„Skindeep“ nennt Liekam ein Video, in dem sie die Aufnahme von einem Gewässer in Ufernähe mit der Ansicht einer weiblichen Brust überlagert. Das Größenverhältnis von Uferstreifen und Brust entspricht nicht unserer Alltagswahrnehmung – im räumlichen Verhältnis hat die Brust eine monumentale Übersteigerung erfahren – der menschliche Körper gewinnt eine landschaftliche Dimension. – Man könnte hier auch an die berühmte Arbeit von Max Ernst denken, bei der er hinter eine endlos sich in der Ferne verlierende Horizontlinie das Augenpaar einer Frau setzte. Die schwarzen Schatten um ihre Nase verbinden sich dabei mit den Schatten der fern am Horizont erscheinenden Bergkette – monumental dominiert das Bild der Frau diesen surrealen Landschaftsentwurf.
Das bedrohliche Element, das der Darstellung der Frau im Surrealismus – einer überwiegend von Männern geprägten künstlerischen Bewegung - meist innewohnt, ist bei Claudia Liekam abwesend. An diese Stelle tritt eine festliche Bejahung des weiblichen Körpers.

So etwa in der Videoarbeit „anima mundi“ von 2001. Hier arbeitet Claudia Liekam mit Bildern vom Körper einer Frau, die überblendet sind von einer idyllischen Landschaftsaufnahme mit Büschen und Bäumen, die sich weit bis zum Horizont erstrecken. In einer dritten Schicht sind die offenen Seiten eines Buches zu erkennen, die aufgeblättert vor dem Betrachter liegen. Der Text des Buches ist nicht zu entziffern, es steht somit für Bücher, und damit Wissen schlechthin. Der Körper der Frau, der diese Ebene mit der Ebene der Landschaftsdarstellung verbindet, wird damit metaphorisch aufgeladen als schöpferische Urmutter, und, durchaus im Sinne der mittelalterlichen Madonnendarstellungen, als sedes sapientia, Sitz der Weisheit, angesprochen.

Etwas anders ist die Bezugsetzung von weiblichem Körper und Landschaft in einer Serie von Arbeiten Claudia Liekams, die mit Hilfe von Digitaldruck auf Büttenpapier entstand. Es sind gescannte Seitenansichten von weiblichen Brüsten, die digital überarbeitet wurden. Durch diese Bearbeitung wird das intim vertraute Bild der Brust fremd, und die Linie, die ihre Silhouette beschreibt, erscheint wie die Linie, die die Horizontlinie einer hügeligen Landschaft bezeichnet. Durch gezielte Titelgebung lenkt Claudia Liekam unsere Assoziationen noch weiter in eine bestimmte Richtung. Die hügelige Erhebung bei „Norderney“ lässt dann etwa an eine mit Dünengras überwachsene Sanddüne dieser ostfriesischen Insel denken, oder „Inuit“ an die Iglu-behausungen der Urbevölkerung der Polarregion, während man bei „Sahara“ eine weitere, flachere Sanddünenlandschaft imaginiert.

Ganz anders erzeugt Claudia Liekam Räumlichkeit in dem Video „Unverhüllt“ von 1998. Ähnlich wie Pipilotti Rist in ihrem Video „Pickelporno“, zoomt Claudia Liekam so nahe an einen Körper heran, dass der voyeuristische Blick auf den nackten Körper nicht mehr funktioniert: Die Einstellung ist zu nah, um die vertrauten pornographischen Muster zu liefern. Stattdessen tun sich in Liekams Bildern fremde Welten auf. Wie man es auch vom mikroskopischen Blick kennt, der ab einer bestimmten Auflösung den Eindruck großer Räume vermittelt, so verhält es sich auch mit der Nahsicht des Kamerazooms. Da wir an keiner Stelle des 3 Minuten 19 Sekunden langen Loops eine Gesamtansicht des Körpers sehen, sind uns die ungewöhnlich fragmentierten Nahaufnahmen zunächst einmal fremd. Durch eine digitale Bearbeitung der Bilder wird dieser Effekt verstärkt. Beinahe automatisch assoziieren wir deshalb makrokosmische Räumlichkeiten. Eine Einstellung, die eigentlich eine Achselhöhle zeigt, erscheint somit in einer phantastischen künstlerischen Transformation etwa wie das Bild einer Milchstraße im Universum.

II.

Das zweite künstlerische Prinzip, das in der eingangs erwähnten Arbeit von Massson, La Terre – die Erde, vorformuliert ist, ist eine flächige Auffassung des Körpers.
Claudia Liekams Herangehensweise an dieses künstlerische Problem ist wiederum direkt und unmittelbar, und bezieht die Verwendung technischer Medien ein.

Für eine Serie von Porträts ist das ein Flachbettscanner, auf den ihre Modelle den Kopf legen müssen. Beim Scannen werden üblicherweise Aufsichtsvorlagen von außen beleuchtet und Durchsichtvorlagen von innen durchleuchtet. Die Lichtquelle bildet ein zu einem Punkt gebündelter Halogenstrahl. Während die Walze rotiert, bewegt sich die Lichtquelle, so dass die Vorlage spiralförmig abgetastet wird. Claudia Liekam benutzt ein altes Gerät, das, wie sie sagt, „sehr schön langsam“ ist. Deshalb können die Modelle während des Scanvorgangs ihren Kopf wenden, und das Ergebnis ist eine Ansicht von beiden Gesichtshälften, jeweils flach auf die Glasplatte gepresst. Das Wenden des Kopfes führt zu Verwacklungen und Verzerrungen. Es entstehen Sprünge und Verschiebungen, die für Claudia Liekam Teil des persönlichen Ausdrucks eines Modells sind. Ja, sie geht sogar soweit, davon zu sprechen, dass die „Seele durchleuchtet wird“. Mit einer idealisierten Schönheit hat diese gescannte Ansicht eines Kopfes jedoch wenig gemein. Bei „Ulla“ – Claudia Liekam betitelt die Arbeiten dieser Serie durchgängig mit dem Vornamen der Modelle – meint man etwa, auf dem Scan die Form eines Totenschädels durchzusehen – man könnte fast an die barocken Mahnungen vom memento mori denken. In anderen Arbeiten wie „Heinz“ zum Beispiel, werden dicke Nasen, Falten oder fleischige Ohrläppchen unmittelbar sichtbar. Claudia Liekam fragt ihre Modelle deshalb vor jeder Ausstellung – also auch für diese hier und heute – der Arbeiten um Erlaubnis, ihr Gesicht in dieser Weise im öffentlichen Raum zu präsentieren.

Klaus, Hybridbild auf Leinwand, 110 x 150 cm, 2002 Selbstportrait, Hybridbild auf Leinwand, 110 x 150 cm, 2003. In der Sammlung Kunsthalle Dominikanerkirche Nicolaus, Hybridbild auf Leinwand, 110 x 150 cm, 2003. In der Sammlung Prof. Dr. Nicolaus Dahlmann Kunsthalle Dominikanerkirche - Boden
Kunsthalle Dominikanerkirche - Boden

In den Schmetterling-Scans aus dem Jahr 1999 wendet Claudia Liekam die Methode der Verflächigung eines Sujets über den Flachbettscanner auf die weibliche Scham an. Die V-förmige Anordnung der Oberschenkel auf dem Bildausschnitt und die bunte Farbigkeit, die von der digitalen Überarbeitung der Scans herrührt, erinnern an die Flügel eines Insekts. Dessen Entwicklung von einer kleinen hässlichen Raupe zum schillernden schönen Schmetterling ist für Claudia Liekam ein Sinnbild für die radikale und umfassende Veränderung der Situation der Frau in unserer Gesellschaft.

III.

Das dritte und letzte künstlerische Prinzip, auf das ich eingehen möchte, ist die Fragmentierung der Körperdarstellung. Bei „Home Body“ setzt sie die Darstellung einer weiblichen Rückenfigur, die ihre Arme ausbreitet, etwa aus einzelnen gescannten Details zusammen. Während sie einerseits versucht, diese Details wie Puzzleteile zusammenzusetzen um wieder eine körperliche Einheit zu erreichen, so ist es ihr andererseits aber auch wichtig, wenn an einzelnen Stellen die Bruchstellen dieser Einheit immer wieder sichtbar werden.

Bei einer Serie ohne Titel, bei der aus mehreren Scans die Darstellungen eines Beines aufgebaut wird, macht Claudia Liekam wieder von diesem Prinzip Gebrauch. Mit kleinen Brüchen in den Konturlinien bildet sich auf den überlängten Hochformaten jeweils ein Bein ab. Besonders sinnfälltig ist die Installation hier im ehemaligen Kloster, die Bezug auf die Säulen im Kreuzgang nimmt. Ist doch nach dem antiken virtruvianischen Kanon das Prinzip der Säule von den Proportionen des menschlichen Beines hergeleitet.

Hybridbilder nennt Claudia Liekam ihre Arbeitsweise und will damit ganz allgemein beschreiben, wie sie Bilder aus unserer vertrauten Körperrealität mit Ansichten und Verfahren der virtuellen Welt mischt. Was ihre Arbeiten jedoch nie verlieren, ist der unmittelbar direkte Bezug auf die Realität des Betrachters. Deshalb möchte ich auch an dieser Stelle zum Schluss kommen, und Sie dem unvermittelten Umgang mit den Arbeiten Claudia Liekams hier in der Dominikanerkirche überlassen.

Dr. Nina Zimmer, Hamburger Kunsthalle

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