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Unversehens stehen wir dem tief atmenden "Nabel
der Welt" gegenüber, werden von einer exotisch bunten "Schmetterlingssammlung"
verführt und in ein phantastisches Reich von "Nixen", "Prinzen" und
schwebenden Engeln gelockt. Die Schwimmer im "Datenmeer" ziehen mal in
zartem Rot, mal in tiefem Blau oder sahnigem Weiß dahin. Und dann
beginnt "Elysium". Wir tauchen in eine sanfte Heiterkeit von Farbe und
Bewegung ein, begleitet vom Klang der Morgendämmerung. Die Grenzen
realer und virtueller Welten sind längst überschritten, sind
vermischt und verwoben. Immerzu entstehen neue Realitäten.
In der Multimedia-Kunstwerkstatt von Claudia Liekam sind Pinsel
und Farbtube abgelöst. Klassische Fotografie, Film und Video sind
transformiert oder ersetzt durch digitale Technologien. Der Computer ist
zum künstlerischen Medium avanciert. Digitaldrucke, Digitalvideos
und interaktive Computerfilme, die auch zu Objekten und Installationen
verbunden werden, sind das Ergebnis. Mit diesen technischen Instrumentarien
werden neue, bisher unbekannte Blicke auf den Menschen vermittelt. Sie
fördern die Wahrnehmung verborgener Wechselbeziehungen zu Tage. Technische
Perfektion, Sensibilität, Emotion und Erotik sind gleichermaßen
in den Bildwelten enthalten.
Bereits Mitte der 80er Jahre entdeckte Claudia Liekam bei einem
Studentenjob auf der Cebit in Hannover die Faszination der neuen Medien.
Aber erst 1993 rückte die damalige Produktmanagerin die künstlerische
Kreativität in das Zentrum ihres Schaffens.
Digitale Produkte in der Kunst sind zwar inzwischen keine Überraschung
mehr. Die Skepsis gegenüber diesem Medium ist allerdings immer noch
groß. Internationale Messen und selbst Ereignisse mit einem besonderen
innovativen Potential, wie etwa im vergangenen Jahr die Biennalen in Berlin
und Luxembourg nehmen sich dieser Kunstströmung nur in begrenztem
Maße an. Dies gilt ebenso für die gerade zu Ende gegangene,
stark verjüngte Schau der Biennale in Venedig. Es scheint, als sei
das digitale Medium doch erst das Werkzeug zu einer Kunst des 21. Jahrhunderts.
Der Katalog der Ausstellung "Die Epoche der Moderne - Kunst im 20. Jahrhundert"
widmet dem Aspekt "Intermedia-Multimedia" denn auch gerade mal eine Seite
in diesem kiloschweren Werk.
Der ausschließliche und so konsequente Umgang mit elektronischen
Medien, wie Claudia Liekam ihn praktiziert, ist gegenwärtig noch
selten. Foto, Film und Video gehören zu den Wegbereitern einer digitalen
Kunst, bleiben aber dem Realen und dem Abbild deutlicher verbunden. Ursprung
ist trotz allen künstlerischen Eingriffs etwas Gesehenes, etwas wahrhaft
Vorhandenes. Computerkunst kann jedoch neue Wirklichkeiten schaffen, kann
virtuelle Tatsachen in immer neuen Variationen und Konstellationen erfinden.
Vielleicht liegt gerade darin die Zurückhaltung, ja das Ressentiment
derjenigen Generationen, die nicht schon früh mit diesem Medium in
Verbindung kamen, ein Medium, das in der Lage ist, die Dimensionen des
Tatsächlichen und des Einzigartigen vollständig zu sprengen.
Wer sich den Arbeiten von Claudia Liekam und der Künstlerin
selbst zuwendet, wird schnell ihren spielerischen, unprätentiösen,
ja beinahe liebevollen Umgang mit Bits und Gigabytes erkennen. Der Computer
wird als malerisches Mittel eingesetzt. Der digitale Film erweckt die
Bilder zum Leben. Am Ende jedes kreativen Prozesses steht ein unverwechselbares,
identifizierbares künstlerisches Produkt, ein Werk von Claudia Liekam.
Die Faszination ihrer Arbeiten entfaltet sich aus den Inhalten, die mit
den digitalen Bildwelten völlig neu präsentiert und interpretiert
werden.
Ihren bewegten Bildobjekten hat sie so geheimnisvoll erotische Namen wie
"Unverhüllt" oder "Der Kuss des Schmetterlings" gegeben. Sie berührt
damit überraschend und doch unspektakulär die Gefühle der
Betrachter. Sie regt mit belebten Bildern unsere Sinne an und erregt (sogar
manchmal ungewollt heftig) Anstoß zu lebhaften Diskussionen und
neuer unverstellter Kreativität. Sie lenkt die Blicke, Gewohntes
anders zu sehen. Ist es die Topographie einer Landschaft? Ist es die Körperlichkeit
eines Menschen? Ist es womöglich eine Körperlandschaft? Mit
der Überschneidung und Verfremdung naturalistischer Gegenständlichkeit
werden Rätsel erzeugt, deren Lösung nur erspürt werden
kann, werden Metamorphosen freigesetzt, die sich als ferne Ahnungen abzeichnen.
Die Arbeiten von Claudia Liekam zeichnet eine große malerische Kraft
aus, die mal expressiv, mal mit gedämpfter Farbigkeit auftritt. Gelegentlich
blitzt aus ihnen auch eine Portion Witz oder Ironie, wenn die Schüler
der Tauchschule durch das Datenmeer schwimmen oder wenn das digitalisierte,
bunte Auge der Künstlerin die Betrachter mit ruhigen, elegant distanzierten
Bewegungen unverwandt fixiert. "Point of view".
Ulla Lohmann |